Orte am Rand - Die Roma Siedlungen im Burgenland Fortsetzung der Ausgrenzung

Kapitel 9Orte am Rand – Roma und Sinti in Wien


Zur Geschichte der Roma und Sinti in Wien gibt es wenig verlässliche Informationen. Sicher ist, dass im Verlauf der großen Zuwanderungsbewegungen im 19. Jahrhundert auch Roma und Sinti nach Wien migrierten. Anders als in ländlichen Gebieten der Monarchie, standen sie in der Großstadt auch zunächst nicht unter besonderer Kontrolle.

Ceija Stojka mit ihrer Mutter Sidi, ihren drei Brüdern Ossi, Karl und Johann »Mongo« sowie ihrer Schwester Mitzi auf dem Standplatz der Familie beim Kongreßbad, Ende der 1930er-Jahre
SW-Fotografie Ceija Stojka mit ihrer Mutter Sidi, ihren drei Brüdern Ossi, Karl und Johann »Mongo« sowie ihrer Schwester Mitzi auf dem Standplatz der Familie beim Kongreßbad, Ende der 1930er-Jahre

© Familie Asenbaum-Stojka, Wien

Erst in den 1920er-Jahren finden sich verstärkt Hinweise auf polizeiliche Überwachung und eine Tendenz zur Konstruktion eines »Zigeunerproblems« in Wien. In diese Zeit reichen auch Lebenserinnerungen und Familienaufzeichnungen zurück, die über die Orte und Lebensumstände aus eigener Perspektive erzählen. So siedelten sich Sinti und Lovara in den 1920er-Jahren insbesondere in Floridsdorf an. Letztere betrieben hier, an der Peripherie der Großstadt, vor allem Pferdehandel und waren teilweise im Besitz großer Höfe.

Mühlschüttel 11, Floridsdorf (21. Bezirk)
Foto: Bundesarchiv Mühlschüttel 11, Floridsdorf (21. Bezirk)
»Wien Hellerwiese«, 1940/41
Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1987-108-18 »Wien Hellerwiese«, 1940/41

Die Fotografien der Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle (RHF) entstanden vermutlich 1940 und wurden von MitarbeiterInnen der Rassenhygienischen Forschungsstelle am Reichsgesundheitsamt (RHI) aufgenommen. Sie waren mit dem Ziel nach Wien gekommen, die seit Herbst 1939 in mehreren Lagern in Favoriten (Hellerwiese), Simmering (Wankogstätten) und Floridsdorf (Bruckhaufen) festgehaltenen Roma und Sinti rassenbiologisch zu begutachten. Auf den Aufnahmen sind fallweise die durch Scherengitter abgesperrten Plätze zu sehen, auf einzelnen Bildern auch MitarbeiterInnen wie Eva Justin. An sie erinnerten sich Überlebende, wie Ceija Stojka. Justin sprach Romanes und erschlich sich so das Vertrauen der Internierten.

Die unter der Leitung des NS-Rassentheoretikers und Arztes Robert Ritter stehende Forschungsstelle war 1936 eingerichtet worden, um Gutachten über Roma und Sinti zu erstellen. Dabei arbeitete es jeweils eng mit den örtlichen Polizeibehörden zusammen. Die unter Zwang Untersuchten wurden physisch vermessen und fotografiert. Die Gutachten bildeten die Grundlage für Zwangsmaßnahmen bis hin zur Deportation in die Konzentrationslager. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)

Als Lagerplätze für einen vorübergehenden Aufenthalt wurden die Hellerwiese im 10. oder die Wankogstätt’n im 11. Bezirk genutzt. Die Nationalsozialisten wandelten diese Orte schließlich in Zwangsorte um. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)

»Zigeunerlager« Bretteldorf, 1930er-Jahre
SW-Fotografie »Zigeunerlager« Bretteldorf, 1930er-Jahre

Bezirksmuseum Floridsdorf, Wien

Die Fotografie zeigt mehrere Personen rund um einen Wagen, links im Bild ist ein Polizist zu sehen. Das Foto könnte in der NS-Zeit entstanden sein, wo sich seit 1939/40 im Bretteldorf eines der drei Internierungslager für Roma und Sinti in Wien befand. Ende des 19. Jahrhunderts waren auf diesem Gelände an der Donau Bretterhütten mit kleinen Gärten entstanden, die während des Ersten Weltkrieges für den Gemüseanbau genutzt wurden. Nach 1918 wurde das Gelände parzelliert und vom Stift Klosterneuburg verpachtet. Viele Häuser wurden ohne baubehördliche Genehmigung errichtet und galten als »wilde« Siedlungen. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)

Inhaltlicher Schwerpunkt / Vermittlungsansatz

Ortlosigkeit ist eines der mächtigsten Stereotype in Bezug auf Roma und Sinti. Roma und Sinti werden auch heute noch vielfach als »Nomaden« gesehen, obwohl der größte Teil seit Jahrhunderten sesshaft ist. Unterstellt werden damit auch Identitäts- und Heimatlosigkeit sowie Unzuverlässigkeit. Vor 1938 lebten ca. 11.000 Roma und Sinti in Österreich. Die Mehrheit davon siedelte im heutigen Mittel-und Südburgenland aber auch in den Wiener Außenbezirken gab es traditionelle Lager-und Rastplätze für Roma und Sinti sowie große Gehöfte der als Pferdehändler tätigen Gruppe der Lovara.

Zum Einstieg soll neben einer allgemeinen Verortung der Plätze der Roma und Sinti in Wien auch der Frage nach dem Erinnern und dem Gedenken an diesen Orte nachgegangen werden. Weiterführend ermöglichen Textanalysen einerseits die Auseinandersetzungen mit Eigen- und Fremddarstellungen von Siedlungsorten wie dem »Romano Than« (Roma-Ort) Floridsdorf und zeigen andererseits wie die Situation der Roma und Sinti in Wien in Presseberichterstattungen der frühen 1930er-Jahre wahrgenommen wurde und welche unterschiedlichen Perspektiven und Absichten mit den publizistischen Schilderungen verbunden sind.

Literatur /zur Vorbereitung für die Lehrpersonen:

Katalogbeiträge: