Kapitel 1: Romane Thana. Orte der Roma und Sinti Kapitel 3: Der Blick von außen

Kapitel 2Die Heimat der Roma ist ihre Sprache

Die Sprache der Roma und Sinti – Romanes – ist zentral
für ihr Selbstbild als Volk.


Mozes F. Heinschink im Interview mit Christiane Fennesz-Juhasz im Café Zartl in Wien, 21. April 2012

Kamera und Schnitt: Pavel Braila, Angelika Herta, Produktion: Lilia Braila (Filmausschnitt)

Die Tonaufnahmen, die der Wiener -Romanes-Experte Mozes F. Heinschink (geb. 1939) seit 1960 mit Roma und Sinti insbesondere in Mitteleuropa, am Balkan und in der Türkei gemacht hat, stellen eine der weltweit bedeutendsten Quellen-Sammlungen zu deren Erzähltradition, Sprache, Musik und Alltagskultur dar. Die Sammlung von rund 5.000 Einzelaufnahmen (ca. 750 Stunden) ist im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften archiviert.

Das Interview wurde im Rahmen von »Talking Letters« geführt.

Wissenschaftliche Forschungen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert belegen die Herkunft der Sprache aus Indien und zeichnen ihre Wanderung nach Europa nach. Für Romanes gibt es keinen verbindlichen Standard, sondern ausschließlich die Varianten der einzelnen Roma- und Sinti-Gruppen.

Romanes-Sprecher und -Sprecherinnen sprechen immer die Sprache der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft und werden in dieser Sprache alphabetisiert. Nicht alle Roma und Sinti sprechen Romanes. Vor allem die Verfolgung und Ermordung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus hat zum Sprachverlust geführt. Die Überlebenden haben Romanes häufig nicht tradiert, in der Hoffnung, ihre Kinder dadurch vor Verfolgung zu schützen.

Roma und Sinti haben eine reiche mündliche Erzähltradition. Die Kodifizierung der in Österreich gesprochenen Varianten erfolgte ab den 1990er-Jahren. (Andrea Härle)

»Kutka tele, mamo, e but rom tanazin …«

Kutka tele, mamo,
e but Rom tanazin,
feri me sim čori hej
maškar le Romora!

Žutisar ma, Devla,
na muk te xasajvav,
te šaj kerav de vi me
muri šukar voja.

Del o Del inke,
ke vi maj žutija,
kero inke vi me hej
muri šukar voja.

Engedelmo mangav,
Romale butale,
te šaj kerav de vi me hej
tumari de voja.

»Dort unten, Mutter, lagern die vielen Roma …«

Dort unten, Mutter,
lagern die vielen Roma,
nur ich bin elend
unter den Roma!

Hilf mir, Gott,
lass mich nicht zugrunde gehen,
dass auch ich
mich freuen kann.

Gott wird noch geben,
dass auch mir geholfen wird,
auch ich werde noch
feiern und mich freuen.

Ich bitte um Erlaubnis,
ihr vielen Roma,
dass auch ich
euch Freude bereiten kann.

Ruzsa »Kutka tele, mamo, e but rom tanazin …« (»Dort unten, Mutter, lagern die vielen Roma …«), gesungen von Ruža Nikolić-Lakatos, 1960 aufgen. von M. F. Heinschink, im Wohnwagen der Familie Lakatos am Ringelseeplatz in Wien-Floridsdorf.

Phonogrammarchiv der ÖAW: B 35336 (Ausschnitt: 02min57), Originalaufnahme auf Magnettonband (9,5 cm/sec mono)

Lyrisches Lied der Lovara; eine der ersten Aufnahmen mit der bekannten Sängerin (geb. 1945 in Pápa, Ungarn).

www.phonogrammarchiv.at

»Gjelem, gjelem
lungone dromenca …«

Gjelem, gjelem lungone dromenca,
maladilem baxtale Romenca.
Gjelem, gjelem lungone dromenca,
maladilem baxtale Romenca.

Aj Romale, aj šavale,
aj Romale, aj šavale.

Katar aven, baxtale Romale,
e carenca lungone dromenca?
Katar aven, baxtale Romale,
e carenca lungone dromenca?

Aj Romale, aj šavale,
aj Romale, aj šavale.

Lili, Lili, rovel o kopili
pe dadese, baxtale Romese.
Lili, Lili, rovel o kopili
pe dadese, baxtale Romese.

Aj Romale, aj šavale,
aj Romale, aj šavale.

»Ich bin weite Wege gegangen …«

Ich bin weite Wege gegangen
und habe glückliche Roma getroffen.
Ich bin weite Wege gegangen
und habe glückliche Roma getroffen.

Oh Roma, oh Freunde,
oh Roma, oh Freunde.

Woher kommt ihr, glückliche Roma,
mit Zelten auf langen Wegen?
Woher kommt ihr, glückliche Roma,
mit Zelten auf langen Wegen?

Oh Roma, oh Freunde,
oh Roma, oh Freunde.

Lili, Lili, das Kind weint
für seinen Vater, einen glücklichen Rom.
Lili, Lili, das Kind weint
für seinen Vater, einen glücklichen Rom.

Oh Roma, oh Freunde,
oh Roma, oh Freunde.

Gelem »Gjelem, gjelem lungone dromenca …« (»Ich bin weite Wege gegangen …«), Stevo (Gesang, Akkordeon), 1967 aufgen. von M. F. Heinschink, während einer Feier bei Mišo und Ruža Nikolić in Wien-Donaustadt.

Phonogrammarchiv der ÖAW: B 35994 (Ausschnitt: 5min), Originalaufnahme auf Magnettonband (9,5 cm/sec mono)

Dieses serbische Roma-Lied wurde 1971 beim 1. Weltkongress der Roma zu ihrer offiziellen Hymne erklärt.

www.phonogrammarchiv.at

»O tschoro rom taj o beng«

Sin dschefkar jek Rom. Sin le deschuduj fatschuvtscha. Taj tschoro gero sina. Taj sin le hegeduva, te cidel gelo i fosching. T’ o cilo gav tel phirtscha, taj but maro le dine te loj. Hat sina eg monari, phentscha: „Akan uso te monaris te dschav.“ Taj kada ande gelo uso monari, o monari ar alo le bare hokoneha. Phentscha leske: „Ma mange cide, Roma“, phentscha, „use mande bare malea hi!“ – Phentscha: „So? Pa naschtig tuke pomoschinahi?“ – Phentscha: „Oh jo“, phentscha, „use mande o beng al saki rat um zwölfi te elinel!“ – Afka te molinel, na?! – Hat phentscha: „Ada rat ava“! Um zwöfi gelo o Rom. Dija le baro maro taj mol le dija mit taj mas, taj le bengeske lija mit jek hordo schpiritus. Hat kada o beng dikla i hegeduva, phentscha: „Pajtasch“, phentscha, „so h’ aja?“ –„Aj“, phentscha, „ja latscho kova“, phentscha. „Muk, majd dik, sar tu kheleha!“ Taj del leske o Rom o schpiritus te pil. Hat o beng matschilo. Taj kada matschilo, o beng kesdintscha te khelel, t’ upro plafon ov dschalahi, taj le schingenca o cilo plafon mit lelahi. Hat tschil o beng [rom] leskere va ando schraufschtok ande. Taj lel asao baro dscherni taj kesdinel leskere va te morel. Phentscha: „Jaj, pajtasch, me na kama i hegeduva te siklol, imar o rat mange ar al!“ Phentscha: „Dokle sa tut morav“, phentscha, „meg udi naj intertschines tu tre ajgeni rateha, hot na ais buter schoha ando molino te molinel.“ Hat intertschintscha pe, t’ o Rom ari lija leskere va andar o schraufschtok. T’ akor o beng dole schraufschtokiha furt gelo. Taj te na dschin, te na mule, meg te adi dschin.
M. Heinschink: Te aves sasto! But berscha te phenes o paramitschja, but schukar!
J. Horvath: Taj but berscha te dschin odola Roma so ada pamarisi tschitscha.


»Der arme Rom und der Teufel«

Es war einmal ein Rom, der hatte zwölf Kinder. Er war sehr arm, aber er hatte eine Geige und ging im Fasching musizieren. Das ganze Dorf war er schon abgegangen, viel Brot hatte man ihm gegeben und Geld auch. Da war nun auch ein Müller, und er sagte zu sich: „Jetzt muss ich auch zum Müller gehen.“ Als er nun beim Müller eintreten wollte, kam der Müller mit einer großen Hacke heraus. Er sagte zum Rom: „Spiel mir nicht auf, Rom! Bei mir ist ein großes Malheur passiert!“ – „Was?“, fragte der Rom, „könnte ich dir nicht helfen?“ – „Oh ja“, sagte der Müller, „zu mir kommt der Teufel jede Nacht um zwölf Uhr mahlen!“ Nun sagte der Rom: „Diese Nacht werde ich kommen.“ Um zwölf Uhr kam der Rom. Der Müller hatte ihm ein großes Brot mitgegeben, auch Wein und Fleisch, und für den Teufel hatte der Rom ein Fass Spiritus mitgenommen. Als nun der Teufel die Geige sah, fragte er: „Freund, was ist das?“ – „Aj, das ist eine gute Sache“, sagte er, „du wirst gleich sehen, wie du tanzen wirst!“ Nun gab der Rom ihm den Spiritus zu trinken. Und der Teufel betrank sich. Als er betrunken war, begann der Teufel zu tanzen. Er sprang bis zum Plafond, und mit seinen Hörnern riss er die ganze Decke herunter. Nun spannt der Rom die Hände des Teufels in den Schraubstock ein. Er nimmt eine große Feile und beginnt seine Hände zu feilen. Da jammerte der Teufel: „Ach, mein Freund, ich will die Geige nicht spielen lernen, mir kommt ja schon das Blut!“ Der Rom aber sagte: „Solange werde ich dich bearbeiten, bis du mit deinem eigenen Blut unterschreibst, dass du nie wieder in die Mühle mahlen kommst.“ Da unterschrieb nun der Teufel, und der Rom nahm seine Hände aus dem Schraubstock heraus. Daraufhin ist der Teufel mit dem Schraubstock fortgegangen. Und wenn sie nicht leben, nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
M. Heinschink: Du sollst gesund sein! Viele Jahre mögest du uns Geschichten erzählen, viele schöne!
J. Horvath: Und viele Jahre mögen jene Roma leben, die diese Geschichte weitergegeben haben.

Kalitsch »O tschoro rom taj o beng« (»Der arme Rom und der Teufel«), erzählt von Johann Horvath, 1969 aufgen. von M. F. Heinschink in Oberwart

Phonogrammarchiv der ÖAW: B 37305 (Dauer: 2min23), Originalaufnahme auf Magnettonband (9,5 cm/sec mono)

Märchen in Romān (Romani-Varietät der Burgenland-Roma); Johann »Kalitsch« Horvath (1912, Zahling – 1983, Oberwart) war in der Oberwarter Roma-Siedlung ein überaus beliebter Erzähler.

www.phonogrammarchiv.at

Inhaltlicher Schwerpunkt / Vermittlungsansatz:

Die Sprache der Roma und Sinti – Romanes und Sintitikes – beinhaltet auch unterschiedlich viele Lehnwörter aus den verschiedenen Gastländern der verschiedenen Romagruppen. So ist das Romanes der Lovara-, Kalderasch-, Arlije-, Ashkali- Gruppen usw., auch stark von türkischen, albanischen, rumänischen, ungarischen und anderen slawischen Sprachen, aber auch deutschen, persischen, armenischen und griechischen Wörtern beeinflusst. Romanes war lange keine schriftliche Sprache, sondern wurde mündlich in Erzählungen, Märchen und Liedern weitergegeben. Diese Sprache droht dadurch in Vergessenheit zu geraten. In verschiedenen Projekten, wie z.B. dem Romani-Projekt der Uni Graz, wird versucht dem entgegenzuwirken. Der Sprachwissenschaftler Mozes Heinschink und Mitglieder der verschiedenen Romagruppen haben ihre Sprachen gesammelt und aufgezeichnet und u.a. auch Märchen der verschiedenen Volksgruppen der Roma und Sinti in verschiedenen Büchern publiziert. Anhand von Textvergleichen zwischen Zeitzeugen-Zitaten und der Literatur der Roma und Sinti soll durch ihre Selbstdarlegung der wahren Tatsachen auf die Entstehungsproblematik der Roma-Literatur sowie auf die realen historischen Hintergründe eingegangen, und allgemein die Märchen und Erzählungen mit der realen Lebenssituation der Roma und Sinti in Verbindung gebracht werden.

Literatur / zur Vorbereitung für die Lehrpersonen: