Kapitel 4Duldung, Abwehr und Versklavung
Die Roma, die im Spätmittelalter in kleineren Gruppen nach Europa einwanderten, wurden anfangs noch als Pilger oder fremde Edelleute in die christlich-feudale Ordnung integriert. Es waren die sich formierenden Territorialstaaten mit ihrem Anspruch auf Kontrolle und Disziplinierung der Untertanen, die seit dem 16. Jahrhundert gegen Roma und andere mobile Menschen mit zunehmender Schärfe vorgingen.
In den habsburgischen Ländern wurden seit dieser Zeit in großer Zahl Verordnungen erlassen, die sie für rechtlos erklärten und das insbesondere mit dem Vorwurf der Spionage und der Übertragung von Seuchen begründeten. Ihre Vertreibung wurde angeordnet und sogar ihre physische Vernichtung angedroht.
In den rumänischen Fürstentümern Moldau und Walachei waren die Roma im 14. und 15. Jahrhundert in Sklaverei geraten. Anders als Leibeigene, die an den Boden gebunden waren, gehörten sie zum persönlichen Besitz ihrer Herren. Sie konnten jederzeit verkauft oder verschenkt werden. Die Sklaverei wurde erst im 19. Jahrhundert aufgehoben: 1855 in Moldau, 1865 in der Walachei. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)
Inhaltlicher Schwerpunkt / Vermittlungsansatz
Roma und Sinti sind seit Jahrhunderten Opfer von Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Wanderbewegungen der Roma wurden seit jeher von der Mehrheitsgesellschaft mit Missgunst und Skepsis betrachtet. Ängste und Vorurteile waren zumeist bestimmend.
Die ab der 2.Hälfte des 17. Jahrhunderts erlassenen strengen Verordnungen (siehe: »Zigeiner Ausrottung« 1655) gegen Roma und Sinti hingen oft auch mit der allgemeinen Gefahr aus dem Osten, dem osmanischen Reich (1683: 2. Osmanische Belagerung von Wien), das bis weit nach Ungarn hinein diese östlichen Gebiete beherrschte und der Angst vor Spionage und Unterwanderung durch den Feind zusammen.
Aber auch eine sehr objektive Sicht auf die Lebensumstände der Roma und Sinti und ein für alle Seiten positiver Umgang mit ihnen ist aus dieser Zeit auf dem Gebiet des heutigen Burgenland in Form des Schutzbriefes von Graf Batthyany für Martin Sarközi erhalten geblieben. Dieser steht oft in direktem Gegensatz zu den zeitaktuellen Vorurteilen und späteren Klischees über dieses Volk.
Das Erkennen von Vorurteilen und Stereotypen, die letztlich auch zu Diskriminierung und Ausgrenzung führen, steht im Mittelpunkt der Einstiegsübung (»Die ÖsterreicherInnen«). Die Auseinandersetzung mit einem Schutzbrief aus dem 17. Jahrhundert soll ein seltenes Beispiel für den positiven Umgang mit Roma und Sinti in dieser Zeit aufzeigen. Medienkritik und Textanalysen sollen in der Methode »Historisches Urteil« erprobt werden. Ängste und Vorurteile einst und jetzt stehen im Zentrum unterschiedlicher Texte. Zur Vertiefung wird eine Projektarbeit (»Sprachpolizei«) vorgestellt, in der sich die Schüler/innen im Detail mit verbaler Diskriminierung auseinandersetzen können.
Literatur /zur Vorbereitung für die Lehrpersonen:
- Katalogbeitrag: Klaus-Michael Bogdal, Die Erfindung der »Zigeuner«. Diskurse über die Romvölker