Kapitel 14: Erinnerungen an den Holocaust Kapitel 15.1: Betteln

Kapitel 15Roma-Migration nach Ă–sterreich seit 1945


Seit 1945 sind Roma aus unterschiedlichen Gründen nach Österreich eingewandert: 1956 als Flüchtlinge aus Ungarn, 1968 aus der damaligen Tschechoslowakei. Ab Mitte der 1960er-Jahre kamen in Folge des Anwerbeabkommens mit Jugoslawien zahlreiche Roma als »GastarbeiterInnen« nach Österreich, viele von ihnen sind hier geblieben, ihre Kinder und Enkel sind in Österreich aufgewachsen.

Den ArbeitsmigrantInnen folgten in den 1990er-Jahren die Flüchtlinge vor den Kriegen in Bosnien und im Kosovo. Seit 1989 und verstärkt seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens wandern Roma aus diesen Ländern sowie aus Ungarn und der Slowakei nach Österreich ein.

Ihre Zuwanderung und Flucht war und ist immer auch von den, im Vergleich zu Nicht-Roma besonders schlechten, wirtschaftlichen Verhältnissen in den Herkunftsländern motiviert, sowie von der Hoffnung, in den Zielländern einer Diskriminierung zu entgehen. Auch aus diesem Grund geben sich viele Roma nicht zu erkennen. (Andrea Härle)

Schreiben des BM für Inneres an das BM für Auswärtige Angelegenheiten, 4. August 1966 text
Österreichisches Staatsarchiv, Wien Schreiben des BM für Inneres an das BM für Auswärtige Angelegenheiten, 4. August 1966

Fotokopie

text Schreiben des Österreichischen Generalkonsulats Ljubljana an das BM für Auswärtige Angelegenheiten, 25. August 1966
Österreichisches Staatsarchiv, Wien Schreiben des Österreichischen Generalkonsulats Ljubljana an das BM für Auswärtige Angelegenheiten, 25. August 1966

Fotokopie

In den 1960er-Jahren herrschte in vielen Bereichen in Österreich ein Mangel an Arbeitskräften. Durch zwischenstaatliche Abkommen 1964 mit der Türkei, 1966 mit Jugoslawien, versuchte Österreich, ausländische ArbeitnehmerInnen als »Gastarbeiter« nach Österreich zu holen. Die Anwerbung erfolgte in den Heimatländern. Daneben gab es auch individuell Einreisende, die direkt in Österreich Arbeit suchten, da bis 1973 die Einreise ohne Sichtvermerk (als Tourist für drei Monate) möglich war. Die »GastarbeiterInnen« lebten zu Beginn häufig in Massenquartieren und nahmen die unterste Position am Arbeitsmarkt ein.Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit des Innenministeriums ersucht im August 1966 das Außenministerium, die nachgeordneten Dienststellen in Jugoslawien anzuweisen, nur in besonderen Ausnahmefällen Arbeits- und Aufenthalts-Sichtvermerke an »jugoslawische Zigeuner« auszustellen. In Tirol hätten »ca. 200 jugoslawische Zigeuner« Aufenthalt genommen, ihre Arbeitsplätze aber nach kurzer Zeit verlassen und trieben sich nun »nach Zigeunerart im Lande herum«. Das Österreichische Generalkonsulat in Ljubljana weist in seiner Antwort auf Schwierigkeiten hin: »Zigeuner« seien nicht ohne weiteres zu erkennen und die direkte Befragung käme nicht in Betracht, da dies in Jugoslawien als »Diskriminierung aus rassischen Gründen« gewertet würde und verboten sei.Auch aus dem Jahr 1965 ist eine ähnliche Korrespondenz bekannt: Das Außenministerium schickte eine Weisung an die Konsulate in Jugoslawien, keine Sichtvermerke an »Zigeuner« auszustellen. Die Dokumente wurden von der Historikerin Vida Bakondy im Zuge der Recherche zu einem anderen Projekt entdeckt. Systematische Forschung zur Beteiligung von Roma an der Arbeitsmigration und damit zusammenhängende Diskriminierung steht noch aus. (Andrea Härle)

Ungarische Lovara am Ringelseeplatz in Floridsdorf, um 1960
Foto: Mozes F. Heinschink Ungarische Lovara am Ringelseeplatz in Floridsdorf, um 1960

Sammlung Mozes F. Heinschink, Wien

Brautpaar mit Hochzeitsgästen auf den »Draschegründen« in Wien Inzersdorf, 13./14. April 1974
Foto: Mozes F. Heinschink Brautpaar mit Hochzeitsgästen auf den »Draschegründen« in Wien Inzersdorf, 13./14. April 1974

Sammlung Mozes F. Heinschink, Wien

Auf den sogenannten »Draschegründen«, einem Grundstück mit aufgelassener Fabrik in Wien Inzersdorf, fanden in den 1970er-Jahren häufig Hochzeiten von Kalderaš-Roma aus Serbien statt.

Inhaltlicher Schwerpunkt / Vermittlungsansatz

Die Mehrheit der heute in Österreich lebenden Roma und Sinti sind (entweder selbst oder ihre Eltern bzw. Großeltern) im Zuge verschiedener größerer Migrationsbewegungen seit 1945 nach Österreich gekommen. Sie sind oft doppelt »stigmatisiert«: als Migrant/innen und als Roma. Das Thema Migration, der Umgang mit der eigenen, vielschichtigen Identität (was zeigt man, was nicht und warum) und der Begriff von Heimat sind die inhaltlichen Schwerpunkte in diesem Bereich. Viele Jugendliche sind selbst mit Grundfragen zu verschiedenen Aspekten ihrer eigenen Identität und Persönlichkeit konfrontiert: Soll ich mich überhaupt und wenn ja, wie und mit welchen Konsequenzen »outen«?

Durch die Beschäftigung mit Zitaten, Interviews und Beiträgen von Mitgliedern dieser Roma-Gruppe werden Lebenswege sowie unterschiedliche Erfahrungen und Einstellungen zu diesen Themen sichtbar.

Literatur / zur Vorbereitung fĂĽr Lehrpersonen: