Kapitel 5: Zwangsansiedlung und Zwangsassimilierung Kapitel 7: Kriminalisierung und Rassismus

Kapitel 6Zigeunerromantik – Faszination und Verachtung


In der Romantik wird die jahrhundertelang an den Rand gedrängte Minderheit der Roma zum faszinierenden Gegenbild der eigenen Gesellschaft: Die »Zigeuner« stehen für Freiheit, Arbeit ohne Zwang, ein umherschweifendes Leben unter freiem Himmel, eine freizügige Sexualität, künstlerische Kreativität und eine überschäumende Lebenslust, die in Musik und Tanz ihren Ausdruck findet.

Alois Friedrich Schönn »Die drei Zigeuner. Nach Lenau’s gleichnamigem Gedichte«, 1859
Wien Museum, Inv. Nr. 99.724/2 Alois Friedrich Schönn »Die drei Zigeuner. Nach Lenau’s gleichnamigem Gedichte«, 1859

Lithographie von Reiffenstein & Rösch, 70 x 53,2 cm

Die Romantik bewirkt den größten und nachhaltigsten Schub der Ästhetisierung undMedialisierung der Roma. Sie liefert in nahezu allen europäischen Kulturen eine Unzahl von Geschichten und Bildern einer archaischen, freien und manchmal gefährlichen und bedrohlichen Gruppe an den Rändern und in den Nischen der modernen Disziplinargesellschaft.

Typenfotografie »Zigeuner«, um 1890
Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien, Inv. Nr. 063.879 Typenfotografie »Zigeuner«, um 1890

SW-Fotografie

»Volkstypen« wurden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu äußerst beliebten Motiven der Fotografie, insbesondere im kleinen, preiswerten Carte-de-Visite-Format (ca. 10 x 5,5 cm).

So gelangten auch massenweise Aufnahmen von »Zigeunern«, im Atelier oder in gestellten Szenen im Freien, durch große Kartenverlage in Budapest, Wien und Prag in Umlauf und wurden beliebtes Sammelgut. Auch Institutionen, die sich als wissenschaftlich verstanden, wie die ethnologischen und volkskundlichen Museen, zählten zu den Sammlern dieser Fotografien. Wie die »Volkstypen«-Darstellungen generell waren diese »Zigeunerbilder« stark stereotypisierend, zeigten sie als besonders fremd und unzivilisiert und propagierten nachhaltig das Klischee von den »Zigeunern« als den letzten Nomaden Österreichs. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts werden »Zigeuner« zum populären Gegenstand der Unterhaltung – in Literatur, Malerei und Musiktheater, später in Fotografie und Kino. Faszination und Verachtung stehen dabei widerspruchslos nebeneinander. (Werner Michael Schwarz/Susanne Winkler)

Plakat für die Operette »Der Zigeunerbaron« von Johann Strauß, 1885
Wien Museum, Inv. Nr. 76.276/109 Plakat für die Operette »Der Zigeunerbaron« von Johann Strauß, 1885

Druck, 122 x 90,5 cm

Inhaltlicher Schwerpunkt / Vermittlungsansatz

Achtung, Klischee!

Im Zeitalter der Romantik propagierte man im Sinne der Philosophie von Jean Jaques Rosseau, welche die etablierte Gesellschaft kritisierte, und den naturnahen, menschenwürdigeren Zustand propagierte, das Motto »Zurück zur Natur!«. Nun wurden der westlichen Zivilisation die Werte der Naturvölker als die urtümlicheren und wahreren entgegensetzt, und diese Eigenschaften auch in der Lebensweise der Roma und Sinti entdeckt. Sie wurden nun wie die sogenannten »edlen Wilden« der Natur- und Inselvölker zu einer Gegenwelt zur bürgerlichen Industriegesellschaft mit ihren festgefahrenen Alltags- und Arbeitsstrukturen stilisiert, wobei ihnen Eigenschaften angedichtet wurden, die ihnen bis heute als ganz bestimmte Klischees anhaften. Diese »Erfindungen« und die damit einhergehende Verklärung trugen auch dazu bei, dass sie verstärkt als anders empfunden wurden. Die in Literatur, Musik und Malerei erfundenen Geschichten kreierten ein Bild von verfestigten Stereotypen, oft fern jeder Realität. In späteren politischen Systemen, wie dem Nationalsozialismus wurden diese falschen Fremdwahrnehmungen mit ihren zugeschriebenen Identitäten dann als angeborene, genetische Tatsachen definiert, und wurden in Folge zur Grundlage von Entrechtung, Verfolgung und Völkermord des zur »zivilisationsunfähigen« Rasse erklärten und zur totalen Vernichtung freigegebenen Volkes der Roma und Sinti.

Anhand von Gedichtinterpretation und vergleichenden Bild- und Textanalysen werden vor allem die groĂźen Unterschiede von Fremd- und Selbstdarstellungen herausgearbeitet und die Gefahren davon thematisiert.

Literatur / zur Vorbereitung fĂĽr die Lehrpersonen: